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AutorenbildSven Sebastian

Der besondere Osterspaziergang 2021 - Warum es gut ist, im Wald zu baden | Österliche Resilienz

Aktualisiert: 13. Mai 2022

Ostern ist immer die Zeit für ausgiebige Wanderungen und Spaziergänge durch die Flure und Wälder unseres schönen Landes! In diesem Jahr sollten wir diese feine Tradition um so stärker und vor allem bewusster pflegen! Denn wir alle sehnen uns gerade jetzt nach einer gesunden Erdung, Sicherheit, Gemeinsamkeit, Frische, Ruhe, Wärme und Natürlichkeit!





Die heilende Wirkung der Natur auf den menschlichen Körper wurde in den letzten Jahren sehr gut untersucht und erforscht, vor allem in Japan, den USA oder Schweden.


Wir Deutschen hinken der internationalen Forschung in den interdisziplinären Disziplinen der Umweltpsychologie, Naturpsychologie oder Natursoziologie momentan noch hinterher. Unser Fokus der Forschung liegt eher auf dem sozialen Umfeld und dem Ausloten von Beziehungen oder Prägungen der Menschen. Daraus entstanden zweidimensionale Persönlichkeitsmodelle, die eine Mitwirkung der natürlichen Umwelt vernachlässigten.


Doch welche Bedeutung die Natur für die psychische Entwicklung hat, ist eine grundlegende wissenschaftliche Fragestellung. Natürliche Strukturen haben laut der Wissenschaftler*innen vielfältige Eigenschaften, die für die psychische Entwicklung des Menschen vorteilhaft sind. Natur ist ständig in Veränderung und bietet zugleich eine verlässliche, beruhigende Kontinuität. So erfahren wir Sicherheit und Wandel gleichermaßen in ihr. Farben und Formen regen die Phantasie an.


Ich persönlich liebe es zum Beispiel, jetzt in der Frühlingszeit die fraktalen Strukturen der Baumkronen zu genießen. Durch den Wald spazierend, verfolge ich mit meinen Augen die einzelnen Äste und Blattspitzen, versinke mit meinen Gedanken in dieser Autobahn der Natürlichkeit, stelle mir vor, wie durch diese Adern des Lebens das Wasser langsam vor sich hinströmt, kleine Tiere sich von der Rinde des Baumes ernähren und dabei ihrem Hier- und Dasein frönen. Dabei atme ich entsprechend der „parasympathischen Bremse“ ein und aus, abwechselnd Summe und Brumme ich wie ein Bär auf der Suche nach frischem Honig, schaukle dabei hin und her, bis meine Begleitung laut loslacht und wir uns mit einem selbstgemachten Eierlikör zuprosten. Das ist die beste „Medizin“ für meine Seele, ich kann abschalten, mich an natürlichen Dingen erfreuen, gedanklich mich in das Unendliche verlieren, Kraft und Energie tanken. Und das auf allen Sinneskanälen meines Ichs!


Die ungezähmte Natur bietet Freiräume, die die Sehnsucht nach Abenteuer und Unmittelbarkeit aufgreift und stillen kann. Natur ist für Menschen ein Raum, der sie nicht bewertet. Damit kann Natur identitätsstiftend und persönlichkeitsstärkend wirken.






Praktische Empfehlungen zur Anwendung des Waldbadens zur Osterzeit 2021


1. Bleibe mindestens zwei Stunden im Wald und schlendere reichlich zwei Kilometer durchs Grüne. Halte dabei Augen und Ohren offen, tauche ein in die Natur.


2. Sprich nicht über noch zu erledigende Dinge, Probleme, Aufgaben usw. Sei mit deinen Gedanken nur im Wald, in der Natur. Rede über das, was du siehst, schmeckst, fühlst, hörst. Schwinge, tänzle, laufe rückwärts, seitwärts, mach einfach, was du willst. Aber bewege dich, durch die Zeit, durch dich und alle aufkommenden Gedanken.


3. Verweile hin und wieder, gönne dir Pausen.


4. Trinke währenddessen ausreichend Wasser oder Tee. Eierlikör, ein kleiner Schampus, warum nicht. Kenn dabei deine Grenzen!


5. Suche das Innere eines Waldes auf oder nutze Zeiten nach Regen oder bei Nebel. Dort ist die Konzentration der Terpene höher.


6. Für eine langfristig positive gesundheitliche Wirkung plane monatlich zwei bis drei Tage mit zwei bis vier Stunden im Wald ein.



Was zeichnet das „Waldbaden“ insbesondere in Krisenzeiten aus?


Menschen spüren, dass Natur in Krisensituationen tröstet, relativiert, ausgleicht und stärkt. Doch nicht erst in der Krise, sondern mitten im Alltag, sozusagen präventiv, ist Natur ein wesentlicher Faktor für die Stabilität der Menschen. Heute weisen große Studien wie „The Greener the Happier?“ nach, dass eine erhöhte Lebenszufriedenheit in einem direkten Zusammenhang mit dem Zugang zu Naturräumen steht. Naturräume bieten uns einen wertungsfreien Raum, einen größeren Sinnzusammenhang, Trost in der Krise und Abstand zum Alltäglichen. Sie fordern die Aufmerksamkeit in einer ganz anderen, nämlich nicht gerichteten, unspezifischen Weise. Das Gehirn erholt sich förmlich nebenbei, während wir Bäume in ihren verschiedenen Grüntönen betrachten, der Strömung eines Baches mit den Augen folgen oder das Eichhörnchen durch die Büsche springen sehen. Was so normal und unscheinbar daherkommt, hat eine faszinierende Auswirkung auf das menschliche Gehirn und die menschliche Seele. Wissenschaftler*innen sprechen in diesem Zusammenhang von „soft fascination“ und meinen eine unspezifische Aufmerksamkeit, die dem Gehirn seine Spannkraft und Kombinationsgabe wieder zurückgibt. Naturerlebnisse beeinflussen aber auch die menschliche Intuition. Der Erfahrungsraum Natur setzt eine erhöhte Achtsamkeit und Wahrnehmung in Gang, die uns die dringend benötigte Selbststeuerung wieder zugänglich macht. Allein ein unebener Boden fordert beim Gehen mehr Balance und spätestens beim Laufen über einen schmalen Steig am Berg verschwinden Gedanken an Probleme, Terminsachen oder Schwierigkeiten von ganz allein. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das, was wir unter die Füße nehmen. Wer in der Natur unterwegs ist, dem begegnet eine Fülle von unmittelbaren Eindrücken wie Sonnenlicht, Wolkenformationen, welche unsere Aufmerksamkeit und alle Sinne fordern.


Natürliche Fraktale begeistern mich dabei am stärksten! Ich nehme diese wahr, ohne sie zu analysieren, doch wenn ich genauer hinschaue, dann fällt mir auf, dass ein Farn in seinen fächerartig verzweigten Blättern ein genaues Abbild des Ganzen produziert. Selbst Zweige eines großen Baumes sehen wie ein Baum selbst aus. Diese geometrischen Formen scheinen unser Gehirn förmlich nebenbei zu ordnen und wirken dabei wie ein großer Scheibenwischer, der die mentale Frontscheibe reinigt. Daher fühlen sich viele Menschen nach einem Spaziergang durch Wald, Park oder Flusslandschaften richtig erholt. Sie sind in der Lage, vorher problematisierte Zusammenhänge aus einer erweiterten Perspektive und klarer als zuvor zu betrachten. Es eröffnen sich damit ganz neue Lösungsansätze und Handlungsspiel- räume. Mir persönlich kommen während eines ausgiebigen Spaziergangs immer die besten Ideen!

„Being away-Effekt“ nennt Psychologe David Strayer von der Universität Utah diese Wirkung der Natur, die er mit Experimenten nachgewiesen hat. Der von ihm benannte Dreitageeffekt bezieht sich auf eine Gruppe Probanden, die nach drei Tagen Aufenthalt in der Natur in der Lage waren, Wort-Assoziationstests um bis zu 50 Prozent besser zu bewältigen. Strayer weist damit eine deutlich kreativere Gehirnleistung nach, die entsteht, wenn Menschen (ohne dabei elektronische Medien zu nutzen) in der Natur unterwegs sind. Wer das weiß, wird sich automatisch vor Prüfungsarbeiten, schwierigen Verhandlungen oder redaktionellen Arbeiten ins Grüne begeben. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass dies ein spürbar besseres oder schnelleres und vor allem kreativeres Arbeiten im Anschluss ermöglicht.



Die folgenden fünf Impulse können dir helfen, in der Zukunft ein grünes Resilienztraining mit Freude und Motivation nachzugehen, welches unter anderem aus Gartenarbeit oder eben Waldbaden bestehen kann:


1. Selbstwirksamkeit erhöhen

Jeder, der gärtnert, sieht unmittelbare Folgen seines Handelns. Wer Pflanzen richtig pflegt, kann in kürzester Zeit einen Erfolg beobachten und macht die Erfahrung, dass seine Arbeit etwas bewirkt. Dieses bewusst wahrzunehmen stärkt das Wissen, handlungsfähig zu sein und etwas bewirken zu können.


2. Soziale Kompetenz und Verbundenheit steigern In der Natur lassen sich z. B. bei Gänsen Formationen beobachten, in denen die Tiere einander beistehen und sich den Flug erleichtern. Dies führt zu Analogien in unserem menschlichen Miteinander und regt ein reflexives soziales Verhalten an. Darüber hinaus entsteht in der Natur ein natürliches Gefühl der Verbundenheit mit der uns umgebenden Natur. (Leben inmitten von Leben, was leben will; vgl. Albert Schweizer)


3. Akzeptanzsteigern Wolken ziehen, der Tag nimmt seinen Lauf, Wachstum geschieht in einem ureigenen Tempo. Am Gras kann niemand ziehen, damit es schneller wächst. Dadurch werden wir darauf zurückverwiesen, dass eben nicht alles machbar ist. Es gilt zu erkennen, dass wir manche Abläufe annehmen müssen, und es ist sinnvoll, ein JA dazu zu entwickeln.


4. Lösungsorientierungsteigern Wer beobachtet und wahrnimmt, wie kleinschrittig manche Lösungen in der natürlichen Umgebung zustande kommen, wie lange ein Vogel braucht, um Halm für Halm zu einem Nest zu bauen, oder wie lange es dauert, bis aus vielen kleinen Flocken eine Schneedecke entsteht, der wird sensibel für Prozesse auf ein Ziel hin. Es macht Mut, eigene Projekte unter diesem Fokus in kleine Zwischenziele zu unterteilen, und es stärkt die Umsetzungskraft.


5. Realistischen Optimismus pflegen

Der Adlerblick auf das eigene Leben ist mitunter sehr hilfreich, wenn es darum geht, die Hoffnung in schwierigen Situationen zu behalten. Wer sich im Frühjahr unter einen noch kahlen, knospenden Baum stellt, der ahnt etwas von der innewohnenden Kraft des weiten Himmels und der Fraktale der Baumwipfel!





Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass das menschliche Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem, vor allem aber das Stressempfinden von Aufenthalten im Grünen, speziell im Wald, profitieren. So konnten die Forscher*innen nachweisen, dass der Vagusnerv, zuständig für die körperliche Regeneration, bei Aufenthalten in der Natur aktiviert wurde und die Konzentration von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin deutlich zurückging. Sie beobachteten, dass das menschliche Immunsystem mit pflanzlichen Botenstoffen, so genannten Terpenen, in Kontakt gebracht deutlich erhöhte Aktivität zeigte. Dies ist kein bewusster Vorgang, sondern erfolgt allein durch Aufenthalte des Organismus in einer von derartigen Botenstoffen angereicherten Umgebung, wie wir sie im Wald antreffen. Es scheint einen direkten Zusammenhang zu geben zwischen Waldspaziergängen, Stressreduzierung, erhöhtem Wohlbefinden und einer Aktivierung körpereigener Abwehrsysteme. Daher folgerten die Forscher, ein gezielter, mehrstündiger, entspannter Aufenthalt im Wald sei pure Medizin. Sie nennen es „Waldbaden“ (Shinrin Yoku) und empfehlen Ärzten und Ärztinnen, Waldspaziergänge auf Rezept zu verschreiben.


Aber lasst uns nicht erst auf eine ärztliche Empfehlung für mehr Gelassenheit, Selbstwirksamkeit und Beruhigung warten, verordnen wir uns den Osterspaziergang 2021 als „therapeutisches“ Waldbaden doch einfach selbst! Seit Januar 2021 kommen zu mir Menschen, die entweder durch die Corona Krise noch einsamer und auf sich geworfen sind als je zuvor, oder die sich aufgrund der intensiven Nähe nur noch gegenseitig nerven und mit der Zeit feststellen, dass in ihrer Beziehung oder in der Familie schon lange so einiges im Argen ist. Und dann gibt es wiederum eine Vielzahl von Freunden und Bekannten von mir, die für sich selbst die geschenkte Zeit nutzen, um ein wenig mehr zur Ruhe zu kommen, sich wirklich gegenseitig wieder besser verstehen lernen, aneinanderrücken, begreifen, dass wir von so Vielem so wenig brauchen. Allen drei Gruppen kann ich nur immer wieder den Tipp mitgeben: Wir alle sind äußerst soziale Wesen, ja, Systeme, wir dürfen niemanden und keinen in dieser Zeit zurücklassen!


Bieten wir uns also gegenseitig unseren Gehirnen in den kommenden Tagen etwas an, was wenig Angst und Furcht hervorruft (Beruhigung der Amygdala), real positive Gefühle und Empfindungen erzeugt (Aktivierung des mesolimbischen Systems), keine verstärkte Beschäftigung mit möglichen und moralischen Grübeleien erlaubt (orbito-frontaler Cortex), gezielt aktive, erfüllende motorische Handlungen anregt (inferiore Parietalregionen), unseren Inseln der Seele einfach nur gut tut (Insulae), ein angenehmes Körperempfinden und Körpererleben ermöglicht (Hirnstamm), plötzlich aufkommende Affekte der Wut, Verzweiflung und Resignation von Anfang an nach unten reguliert ((meso-limbisches System), unser Verlangen nach Freude und Zugehörigkeit befriedigt (VTA-Areal, ACC) und unseren präfrontalen Cortex (PFC), Sitz der exekutiven Funktionen, so stimuliert, das wir unser eigenes Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt so steuern, das wir selbst und alle anderen um uns herum zufrieden, glücklich und entspannt sind.


Und all diese neuronalen Strukturen in unserem Gehirn werden positiv stimuliert und miteinander harmonisiert, wenn wir raus gehen, in die Natur, in den Wald, um uns darin gemeinsam zu baden! Verabredet euch dazu, entsprechend den bestehenden Regeln, lasst keinen zurück. Und die einsamen, schüchternen unter euch: Seit mutig, ruft vertraute Menschen an und ladet diese zu einem Waldspaziergang ein, auch wenn dieser nur digital erfolgen sollte. Lasst keinen zurück, vor allem nicht euch selbst!



PS: Die „Parasympathische Bremse“ entspricht einer basalen Atemübung, die im Wald wunderbar durchgeführt werden kann. Zunächst richte die Aufmerksamkeit für einige Atemzüge auf das Ausatmen. Erlaube deinem Atem, länger auszufließen, „ein wenig Atem hinzuzufügen“. Bei dieser Übung geht es zunächst darum, deine Achtsamkeit für den körperlichen Vorgang zu erhöhen. Es geht vor allem um behutsame und allmähliche Veränderungen. Die Übung kann in einem nächsten Schritt in der Weise erweitert werden, dass beim Ausatmen und Einatmen jeweils leise mitgezählt wird (beim Einatmen z.B. bis zwei und beim Ausatmen bis drei). Es gilt dabei, den individuell angemessenen Atemrhythmus zu finden und einzupendeln. Die Atemübung ist eine gute Möglichkeit, deine Aufmerksamkeit für den eigenen Körper zu schulen und so erste Schritte zu tun, um das Körper- und Gefühlsempfinden nach und nach zurückzugewinnen Wichtige Aspekte dabei sind, die Intensität und Länge der Aufmerksamkeit auf den Atem zu steigern, insbesondere ist es eine Herausforderung die Aufmerksamkeit bis zum Tiefpunkt des Ausatmens aufrecht zu halten und die Atempause nach dem Ausatmen bewusst wahrzunehmen (und überhaupt zuzulassen, dass diese Pause entsteht). Es kann erspürt werden, wie die Luft aus den Lungenflügeln ein- und ausströmt und wie das bewusste Atmen den gesamten Körper in Energie „badet“. Hat sich der Atemfluss für dich merklich vertieft, so kannst du die Aufmerksamkeit auf deine Bauchdecke richten, die in der Atembewegung sanft mitschwingt. Wenn es dir dann möglich ist, die belebende Qualität tiefer Bauchatmung zu erleben, dann wirst du in der Lage sein, Anspannungen in dir loszulassen und deine Sinne vollständig auf deine grüne Umgebung auszurichten. Probiere es aus!

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