14 Tage auf der MS Hamburg Richtung Buenos Aires - 12 Vorträge - komm mit an Bord!
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Lazy days over sea
Auf einer Kreuzfahrt werfen viele Passagiere für eine gewisse Zeit all ihre bisherigen Grundsätze über Bord. Vor allem auf See-Tagen, wenn es nicht so viel zu tun gibt und keine Landgänge möglich sind.
An solchen besonderen „Lazy Days over Sea” gestaltet sich der Tagesablauf für viele Passagiere wie folgt: Um 9 Uhr schreitet man zum Frühstück, danach gibt es ein leichtes Nickerchen am Pool, um dann wieder um 12 Uhr zum Mittagessen angenehm zu speisen. Ein anschließend erholsames Schläfchen zur Regeneration liefert erneute Kräfte für das vorzügliche 16 Uhr Kaffeetrinken, Kuchen und Cremetörtchen inklusive. Natürlich kann man ja nicht nur essen, also folgt ein gepflegter kleiner Spaziergang über das Sonnendeck, um sich dann in der Kabine für den 18:00 Uhr Aperitif in der Weinbar umzuziehen. Während der Drink des Tages die durstige Kehle umschmeichelt, wird sich bei leiser Pianomusik über den neuesten Klatsch und Tratsch des Tages ausgetauscht. Die wesentlichen Themen lauten: Was gibt es zum Abendessen? Wer hat heute was an und wie ist dies zu bewerten? Wer ist zu wem in die Kabine mitgegangen und wie lange? Was wurde auf hoher See bereits gesichtet oder auch nicht? Ist eventuell jemand vorzeitig über Bord gegangen? Und in welchen Verhältnissen lebt die Crew? Wird deren Kabinen auch jeden Tag gereinigt? Wenn ja, wer macht das dann eigentlich?
Wenn alle offenen Fragen weitestgehend beantwortet und besprochen wurden, dann geht es endlich zum 19 Uhr Dinner. Gottseidank ist die MS Hamburg ein wunderbar kleines Schiff, so dass es für alle nur eine Tischzeit gibt. Nach dem köstlichen 7-Gänge-Menü geht es wohlgelaunt zur Abendunterhaltung in die Lounge, wo es ab 21 Uhr eine kurzweilige Show anzuschauen und leckere Cocktails zu schlürfen gibt. Und wem es dann noch immer nicht reicht, der tanzt ab 22 Uhr auf dem Sonnendeck bei Disco-Fox (den können die meisten Deutschen noch recht gut) in den kommenden Tag hinein. Kurz vor dem zu Bett gehen wird sich allerdings noch mit einem kleinen Mitternachtssnack gestärkt, der direkt auf der Tanzfläche gereicht wird, falls gewünscht.
Kreuzfahrt-Stress
Was für ein Programm! Das muss ein Passagier erst einmal körperlich, mental und emotional durchhalten können. Wissbegierige und interessierte Damen und Herren besuchen neben all den genannten Ess-, Erholungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten auch noch jeden Tag mindestens zwei spannende Vorträge oder Workshops zu den verschiedensten Themen. So war meine 12-tägige Veranstaltungsreihe: „Ein Gehirn geht durch die Zeit. Warum wir in bestimmten Momenten so ticken, wie wir ticken.“ stets sehr gut besucht. So kompakt, informativ und unterhaltsam wurden die Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften bisher auch keinem Reisegast präsentiert. So jedenfalls das einheitliche Feedback bezüglich meiner Arbeit an Bord.
Einige der Passagiere stehen sogar schon früh um 6:00 Uhr auf und besuchen das Fitnesstraining oder den Wassersport. Andere wiederum gehen zur Tanzstunde am Nachmittag, nehmen eine Stunde Personal Training in Anspruch, tauschen sich über Teesorten aus, schauen dem Chefkoch auf dem Pool Deck beim Kochen seines Lieblingsgerichts (Chicken Masala, er ist gebürtiger Inder) über die Schulter, oder lassen sich gepflegt vom Barkeeper bereits zum Nachmittag etwas köstliches kredenzen.
An See-Tagen, auf dieser Reise sind es insgesamt 12 See-Tage, kann es also keinem langweilig werden. Viele schaffen vor lauter Möglichkeiten und Abwechslungen nicht einmal ein Buch zu lesen, geschweige denn einen längeren Mittagsschlaf zu halten.
Unsere Verlangensareale -
Maschinerie der Leidenschaft und Lust, der Freude und des Genießens
Angesichts der vielfältigen Informations- und Unterhaltungsangebote wundert es mich nicht, dass so einige Passagiere ihre zu Lande gepflegten Grundsätze mit Abgabe des Passports an der Rezeption über Bord werfen. Dafür sind die Verführungen im Tages- und Abendprogramm einfach zu vielfältig und allgegenwärtig. Gehirntechnisch ist es nicht einfach, sich diesem Sog zu entziehen, geschweige diesem aus dem Weg zu gehen, zumal sich um einen herum nur das tiefe, kalte Meer befindet.
Warum dann also nicht einfach das Vergnügen für eine begrenzte Zeit emotional „boosten"?! Was bietet sich da am besten an? Richtig, feine alkoholische Getränke und Cocktails. Im vernünftigen Maße konsumiert stärken Prosecco, Bier, Wein und Sommercocktails das Aufnahmevermögen, beruhigen das Stress-System und „dämpfen“ die Zentren des schlechten Gewissens, der Schuldgefühle und Selbstzweifel. Viele der Passagiere wissen über diese angenehme Wirkung von alkoholischen Getränken und verfügen daher bereits ab dem ersten Reisetag über eine „Golden Drink Card“. Doch darin liegt leider die Gefahr! Wer über so eine „Alles ist möglich, du musst nur zugreifen.“ Karte verfügt, für den gibt es kaum noch irgendwelche Blockaden und Hindernisse, die einem gepflegten Genuss an alkoholischen Köstlichkeiten im Wege stehen könnten. Sicher, vereinzelte Ehefrauen versuchen zwar immer wieder aufs Neue, ihre Ehemänner vom unkontrollierten Trinken abzulenken. Diese steuernden Versuche sind allerdings von Grund auf zum Scheitern verurteilt. Denn die Mehrzahl der Herren schaltet bereits beim ersten Glas Prosecco zum Frühaufsteher-Frühstück die Kontrollareale im PFC (Präfrontaler Cortex) ab. Mit dem Ziel, den Dopamin gesteuerten Verlangenszentren im meso-cortico-limbischen Bereich ihres Gehirns mehr Spielraum zu geben. Vor lauter Frustration und Enttäuschung gönnen sich die Damen mit der Zeit dann auch lieber ein feines Tröpfchen mehr als sie sich vorgenommen hatten. Dabei insbesondere beliebt ist das Likörchen zur Teestunde, aber auch ein guter Wodka zum Bingo, der Cocktail des Tages direkt am Pool oder etwas Süßes während den Unterhaltungsshows an Bord. Beim Friseur auf Deck 1, also in der Nähe der Crew Kabinen, lässt es sich besonders gut picheln. An diesem Platz können bei einem leicht gekühlten White Russian oder einem gut gemixten Martini gern noch einmal die wirklich wesentlichen Gerüchte ausgetauscht werden. Dazu gehören in der Regel immer die folgenden unbeantworteten Fragen: Hat der Kapitän eine Braut an Bord, oder eher einen Bräutigam? Wenn ja, wer ist es? Wenn nicht, wer könnte es werden?
Um dem feuchtfröhlichen Alkoholkonsum an Bord eine gute Richtung zu geben, entschloss ich mich gestern, einen Vortrag allgemein über unsere Verlangensareale im Kopf zu halten. Wir alle sind mit einem Freuden-Loop im Gehirn ausgestattet, welcher aus den Komponenten des Verlangens, der Belohnung, des Erlebens, Genießens und daran Erfreuens besteht. Diese „Maschinerie der Leidenschaft und Lust, der Freude und des Genießens“ können wir aus eigener Kraft heraus antreiben und steuern. Das kostet allerdings Energie und Aufwand. Viel einfacher und angenehmer ist es, wenn jemand oder etwas anderes diese Spielweise der positiven Emotionen und Empfindungen „kapert“ wie ein Pirat und, uns zur Freude, all die Rädchen der Zufriedenheit und des Glücks am Laufen hält. Einzige Gefahr daran ist, wir geben die Kontrolle an diese Piraten namens Alkohol, Drogen, Medikamente, Arbeit, Computerspiele ab. Dann kommt die Sucht ins Spiel, wir machen uns abhängig von etwas oder jemanden, der oder die es am Ende mit uns nicht wirklich gut meint.
Bevor wir von etwas süchtig oder abhängig werden, muss schon so einiges passieren. Doch so manch lüsterner Pirat schleicht sich schneller in unser Alltagsleben, als wir es wahrhaben wollen. Gut, dass es eine Vielzahl von neurowissenschaftlich fundierten Techniken gibt, um unsere Leidenschaft und Lust nach etwas Beruhigendes oder auch Euphorisierendes zu steuern und zu kontrollieren. Eine davon, die „Think Twice“ Methode, findest du, kurz beschrieben, am Ende dieses Artikels. Mit dieser Technik kann es dir direkt während einer schwierigen Entscheidung gelingen, deinem PFC, also der vernünftigen Kontrollzentrale in deinem Gehirn, genügend Zeit für die Analyse der Situation zu geben. Um so zu einer mehr vernunfts- als verlangensbasierten Entscheidung zu kommen. Die „Think Twice“ Technik wende ich für mich in folgenden Beispielen an (wenn mein Stress-System nicht am Anschlag ist und nur noch eines will, die schnelle Belohnung): Nehme ich zum Kaffee gleich noch ein leckeres Stück Kuchen? Oder: Zu dieser Käseplatte gehören mindestens zwei Gläser feinster, vollmundiger Rotwein! Sollte ich bestellen?
Jedes Gehirn ist zur Sucht geschaffen
Das bewusste Aufschieben einer verlockenden Belohnung ist eine feine Sache, je häufiger angewendet, um so routinierter wird das auf Vorfreude beruhende Verhalten. Nach meinen Ausführungen waren dann die Zuhörer auch sehr beglückt, auch ohne ein Schlückchen Alkohol während des Vortrags zu sich genommen zu haben. (Was allerdings bereits beim „Early Bird“ Frühstück und später zum feierlichen Neptun Brunch verkonsumiert wurde, entzog sich meiner Kenntnis.) Ich war ebenfalls recht zufrieden. Das Thema Sucht und Abhängigkeit unterhaltsam, leicht verdaulich und trotzdem lehrreich zu referieren, ist nicht einfach, kann aber gut gelingen, wenn man mit dem Satz beginnt: „Jedes Gehirn ist zur Sucht geschaffen. So auch meins, und ihres, ihres, ja, auch ihres.“ Dabei zeige ich immer vor allem auf die Personen, die mir den Eindruck vermitteln wollen, dass sie ein Gehirn besitzen, welches sich zu jedem Zeitpunkt kontrollieren und managen lässt.
Mitten in meinen Abschlussbemerkungen („Du bist die Summe deiner Süchte, es ist allerdings gut, wenn sich diese gegenseitig kompensieren. Beispiel: Ich liebe es, lecker zu essen. Ich genieße es aber auch, mit meinem Fahrrad durch die Lande zu fahren. Beides zusammen im Verhältnis hält gesund!“) meldete sich ein Mann und überraschte mich mit folgender Frage: „Das, was Sie uns hier so spannend, lehrreich und humorvoll präsentieren, finde ich mit meinen 80 Jahren hochspannend. Jedoch ist es in meinem Alter langsam an der Zeit, nach vorn zu schauen, sich so anzunehmen, wie man ist, und dem Genuss zu frönen, solange es noch geht. Ab dem 80sten Lebensjahr brauche ich keine Techniken zur Vervollständigung meiner Persönlichkeit mehr. Man(n) muss lernen, mit dem umzugehen, was man hat. So Ihre Worte an uns Männer, als es um das Thema Sexualität und Liebe ging. Was mich aber dringend interessiert ist Folgendes: Welche Risikokriterien kann ich meiner Frau in die Hand geben, mit denen dieses wunderbare Wesen schneller für sich erkennen kann, ob ich aufgrund meines Alkoholkonsums schon in einem gesundheitlich gefährlichen Koma liege oder nicht? Sei es direkt an der Bar oder vorm Pool. Das würde uns ungemein helfen und vor allem meine Frau deutlich entlasten und beruhigen.“
Komatöse Zustände
Und auf diesem Wege kam es dazu, dass ich zum ersten Mal vor gestandenen Personen um die 65 bis weit über 80 Jahren das Thema „Koma und Hirntod“ referierte, leicht, unterhaltsam, amüsant und lehrreich, wie gewohnt. Meine Ausführungen dazu liest du im nächsten Blog, an dieser Stelle sei zusammenfassend gesagt: Solange ein Mensch noch die Augen öffnen kann, zu einer non- oder para-verbalen Kommunikation fähig ist und nach entsprechender Anregung von außen eine gewisse motorische Reaktion zeigt, leidet er nur unter einer mehr oder weniger schlimmen Bewusstseinsstörung. Jedoch nicht unter einem lebensgefährlichen Koma. Ich empfahl der Dame, im Fall der Fälle die von der „Glasgow-Koma-Skala“[1] abgeleitete „MS Hamburg Skala zur Einschätzung des Bewusstseinszustandes von Passagieren“ anzuwenden: 1. Sind noch Augenbewegungen vorhanden? 2. Kann er sich noch irgendwie ausdrücken? 3. Sind motorische Reaktionen erkennbar?
Ihrem Mann wiederum legte ich die „Think Twice“ Technik nahe. Das bedeutet konkret: So lange noch etwas vom daniederliegenden Mann zu hören ist, wenn er leicht mit dem Fuß oder der Hand angestupst wird, so lange ist alles so weit gut. Wenn sich dann auch noch seine Augen leicht betrunken vor Schrecken oder Empörung öffnen, die Zunge „Ach Schatz, wie lieb von dir.“ lallt, ein von Bier und Knoblauch geschwängerter Atem kräftig ausgestoßen wird, dann kann Frau sich mit gutem Gewissen zum Bingo spielen oder zur Teestunde zurückziehen. Ohne dabei zu vergessen, den Mann vom Barkeeper in die eigene Kabine tragen zu lassen.
Die „Think Twice“ Technik
Immer dann, wenn es dir nach etwas besonders Leckerem und Erfreulichem gelüstet, dann werde nicht gleich aktiv oder greife sofort zu. Schenke stattdessen deinem Gehirn Nachdenkzeit. Frage dich zum Beispiel ganz bewusst: Kann dieses Glas Wein noch ein wenig warten? Soll ich gleich die zweite Schlaftablette nehmen, oder doch noch etwas warten? Lenke dich während der Kontrollzeit mit etwas anderem Schönen und Interessanten ab. Hänge zum Beispiel emotional einfach noch einmal imaginär den bis zu diesem Zeitpunkt erlebten Höhepunkten und Genüssen nach. Lenke deine Sinne auf etwas, was dich gerade beruhigen oder auch erfreuen könnte. Schau dich dazu um, ändere vielleicht deine Position, suche einen interessanten Gesprächspartner. Und freue dich vor allem über jede Minute, in der du nicht deinen Gelüsten nachgehst. Fange immer mit 3 Minuten an. Steigere diese Zeitspanne des kurzem Innehaltens und Wartens auf 5 Minuten. Sei stolz auf deine Widerstandskraft und auf dein Durchhaltevermögen. Nach 5 Minuten orientiert sich das Gehirn meistens von allein um und wendet sich den Dingen und Personen zu, die du ihm entsprechend anbietest. Falls du die 3 oder 5 Minuten nicht von Anfang an schaffen solltest, sei dir nicht gram, sondern fokussiere dich vor allem auf deine emotionale Stimme aus dem inneren OFF. Versuche den Singen der „inneren Sirenen deines Verlangens“ zu widerstehen. Freue dich schon auf die Erfüllung und Befriedigung nach dieser Übung. Du kannst immer selbst entscheiden: Entweder du nimmst am Ende dann doch, zu was es dich treibt, oder erfreust dich bewusst und spürbar und für andere sichtbar, dass du etwas willentlich aufschieben oder sogar lassen konntest. Auf etwas zu verzichten, kann sehr befreiend sein, ich weiß, wovon ich rede! Gutes Gelingen wünsche ich dir dabei, es wird dir eine Freude sein.
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[1] Die „Glasgow-Koma-Skala“ dient in der Medizin vor allem als eine erste Einschätzung vor Ort, um so schnell wie möglich die Entscheidung in einem Notfall treffen zu können. Diese Skala vergibt unterschiedliche Punkte in den 3 Kategorien „Augenöffnen“, „verbale Kommunikation“ und „motorische Reaktion“. Die maximal zu erreichende Punktzahl ist 15, die Mindestzahl 3 bei der dann ein tiefes Koma vorliegt. Bei einem Wert von 8 und niedriger sollte im Regelfall eine Beatmung erfolgen, da man dann von einer schweren Beeinträchtigung der Gehirnfunktion ausgehen kann.
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